Montag 16 September 2024

Bürokratieabbau

Überbürokratisierung, undurchsichtige Verfahren oder unverständliche Gesetze sind permanente Vorwürfe gegenüber „dem Staat“, die in der öffentlichen Diskussion praktisch keiner Begründung mehr bedürfen. Die Verwaltung wird als unflexibel, vorschriftenhörig, bürgerfern beschrieben.

Dazu gibt es seit Jahren Vorschläge für sog. „schnelle Lösungen“ nach dem Motto „Zwei alte Gesetze für ein neues Gesetz streichen“, Gesetze sollen mit Verfallsfristen versehen, Steuererklärungen auf einem Bierdeckel gemacht werden können.

Der dbb hat sich dieses Themas schon seit langem angenommen, weil es Bürgerinnen und Bürger und die Beschäftigten in den Verwaltungen gleichermaßen betrifft. Auch die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung leiden unter Regulierungsdruck und „Schnellschussgesetzen“. Das Thema gestaltet sich in der Realität jedoch deutlich komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint:

  • Gesetze und Regel, bürokratische Verfahren sind manchmal unbestritten lästig, sie stellen aber auch sicher, dass staatliches Handeln berechenbar und planbar ist, dass es Rechtsansprüche gibt, die einklagbar sind. Vergleichbare Fälle sollen gleich behandelt werden, Vetternwirtschaft und Begünstigung wird ein starker Riegel vorgeschoben. Umgekehrt bedeutet Deregulierung auch Ungewissheit über den Verfahrensausgang. Wo Regeln fehlen, gibt es notwendigerweise Spielräume.
  • Dem Ruf nach Deregulierung folgt - häufig aus demselben Mund - allzu häufig der Ruf nach neuen oder schärferen Gesetzen, wenn gerade wieder neuer Skandal durch den Blätterwald fegt (Bsp.: Gammelfleisch, Ausspähung am Arbeitsplatz, Bankenkontrolle).
  • Schließlich führt das Verfassungsrecht auf gerichtlichen Rechtsschutz, bei dem der Kläger seinen Einzelfall in den Mittelpunkt stellt, auch zu neuer Regulierung. Grundsatzentscheidungen oberster Gerichte folgen nicht selten unverzügliche Forderungen nach gesetzgeberischen Konsequenzen.

Das Dilemma ist, dass sich eine komplexe Gesellschaft wie die unsere nicht mehr mit den zehn Geboten lenken lässt. Das schlägt sich notwendiger weise in der Gesetzgebung nieder. Gleichzeitig wollen wir alle ein flexibles, den Einzelfall berücksichtigendes Regelungsgeflecht, das andererseits aber dafür sorgt, dass Entscheidungen der Verwaltung oder anderer Stellen berechenbar sind, gleiche Sachverhalte immer gleich entschieden werden und das von Kiel bis Garmisch. Einen allgemein gültigen Maßstab dafür, „angemessene“ Bürokratie einerseits und was „überzogene“ Bürokratie (Bürokratismus) andererseits ist, gibt es deshalb nicht. Umwelt- und Verbraucherschutz sind Beispiele für Politikbereiche, wo sich ohne - auch detaillierte - Vorschriften Missbräuche nicht verhindern lassen.

Die Frage am Ende ist, wie viel Ungewissheit und damit auch Ungleichheit unsere Gesellschaft will. Bürgerfreiheit und Bürokratie sind so verstanden keine eindeutigen Gegensätze - es handelt sich, wie in der Medizin, um die Frage der Dosis, die das Medikament vom Gift scheidet.

In dieser Situation hat der dbb die Einsicht gewonnen, Wege zu suchen, die weniger auf spektakuläre Forderung als auf einem Bewusstseinswandel setzen.

Aus diesem Grund beschloss die Bundesleitung zunächst im Sommer 2005, eine Kommission eingerichtet, die sich dem Thema Entbürokratisierung und Deregulierung widmet. Dabei ging es dem dbb vor allem darum, eine Kommission dergestalt zu besetzen, dass sie als unabhängig vom dbb wahrgenommen wird. Daher war dem dbb daran gelegen, unabhängige Fachleute von außerhalb, die aus der Verwaltung, der Politik und der Gerichtsbarkeit kommen, für diese Aufgabe zu gewinnen.

Das „Forum Bürokratieabbau“ unter Vorsitz des ehemaligen Berliner Innensenators Dr. Werthebach hat im Januar 2007 das Konzept „Weniger Bürokratie und besseres Recht - Wege zum Abbau von Bürokratie – Handlungsempfehlungen für Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Gerichtsbarkeit“ vorgestellt.

Wesentliche Ergebnisse

Ausgangspunkt ist, dass der Bestand allgemein gültiger Regeln Kern des Demokratie- und Rechtsstaatsgebotes ist. Förmliche Verfahren und vorgegebene Zuständigkeiten sind zwingende Voraussetzungen für die Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Transparenz staatlicher Entscheidungen. Eine funktionsfähige Bürokratie ist daher auch wesentliches Kennzeichen des demokratischen Rechtsstaates. Allerdings sind nicht Deregulierungen und bürokratische Verfahren als solche das eigentliche Übel, sondern deren normative wie administrative Überdosierung. Denn in der Konsequenz bedeutet dies, dass die Politik die Ausgestaltung staatlicher Aufgaben und die Gesellschaft die Forderung an den Staat auf das notwendige Maß zurückführen soll. Ziel muss daher eine neue Verantwortungsteilung zwischen Staat, Gesellschaft, Bürgern und den Unternehmen sein.

In diesem Kontext hat das Forum Bürokratieabbau die Beteiligten in den Focus genommen, die an der Entstehung von Regulierungen in irgendeiner Form beteiligt sind:

  • Dazu zählt die Politik, deren Vorgaben in gesetzgeberischem Tätigwerden münden.
  • Dazu zählen auch die Gesellschaft und ihre Bürger, die sich mit ihren Erwartungen und Forderungen an die Politik wenden.
  • Dazu zählen die Unternehmen, die durch freiwillige Selbstverpflichtung und damit Selbstregulierung den Staat entlasten könnten.
  • Dazu zählt auch eine Verwaltung, die sich dadurch auszeichnet, indem sie das Engagement ihrer Mitarbeiter nutzt, fördert und damit deren Eigenverantwortung stärkt.
  • Dazu zählt die Justiz, deren Aufgabe auch darin bestehen müsste, Verantwortlichkeiten neu zu definieren.
  • Dazu zählt die Europäische Union, die sich stärker auf das Subsidiaritätsprinzip beschränken müsste.

Der Abbau von Bürokratie, die Reduzierung von Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften waren und sind weiterhin Gegenstand des Handelns verschiedener Bundesregierungen. Im Jahr 2006 setzte die Bundesregierung den sog. Nationalen Normenkontrollrat ein, dessen Aufgabe es als unabhängiges Beratungsgremium ist, die Bundesregierung zu unterstützen, die durch Gesetze verursachten Bürokratiekosten zu reduzieren. Auf der Grundlage des sog. Standardkosten-Modells werden bestehende und künftige durch Gesetz entstehende Bürokratiekosten ermittelt und ggf. reduziert.

Einheitsversicherung ("Bürgerversicherung")

Ein Reformansatz für die Sanierung der sozialen Sicherungssysteme Gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung ist das Modell der Bürgerversicherung, das sowohl von der SPD als auch von Bündnis 90/Die Grünen mit unterschiedlichen Ausprägungen konzipiert worden ist. Kernpunkt beider Modelle ist, ein für alle Bürger einheitliches Versicherungssystem zu schaffen: Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze (bisher konnten Personen mit einem Erwerbseinkommen über 3.900 € auf eine Mitgliedschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung verzichten und Mitglied einer Privaten Krankenversicherung werden); jeder muss der Bürgerversicherung beitreten (auch Beamte, Selbstständige und Angestellte, deren Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze liegt).

Der dbb beamtenbund und tarifunion lehnt die Einführung einer Bürgerversicherung ab. Nicht, weil die Beamten lieber privat versichert bleiben möchten, sondern weil das Modell nur zu einer vorübergehenden Entlastung der Gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung führen würde. Bürgerversicherung bedeutet die Ausdehnung der gesetzlichen Sozialversicherung auf die gesamte Bevölkerung. Bei einer Einbeziehung der Beamten in diese Systeme würden die vorhandenen Probleme ausgeweitet und damit verschärft.

Beispiel Gesetzliche Krankenversicherung

Die Ausweitung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf alle Bürger und alle Einkommen verhindert eine Lösung der vorhandenen Strukturprobleme des gesetzlichen Versicherungssystems. Wenn der Kreis der Versicherten auf die gesamte Bevölkerung ausgeweitet wird, kommt mehr Geld in das Gesundheitssystem. Dadurch sinkt der Handlungsdruck, notwendige Reformen für mehr Effizienz im System werden auf unbegrenzte Zeit verschoben. Der bürokratische Aufwand wächst, zum Beispiel bei den Krankenkassen, die künftig das gesamte zu versteuernde Einkommen bei der Beitragszahlung berücksichtigen müssten. Gleichzeitig nimmt der Wettbewerb um Effizienz und Qualität in der Versorgung ab. Das System wird ineffizienter und somit teurer. Zudem erwachsen aus den zusätzlichen Einnahmen zusätzliche Leistungsansprüche. Die Bürgerversicherung löst das strukturelle Problem der GKV also nicht, sondern sie vergrößert es. Es entsteht ein vorübergehender positiver Finanzierungseffekt, der langfristig durch einen negativen Ausgabeneffekt überkompensiert wird.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sich deshalb gegen eine Einbeziehung Beamter in die GKV ausgesprochen (Jahresgutachten 2002/2003). Auch der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen kommt in seinem Gutachten 2003 „Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität“ zu dem Schluss, dass durch die Einbeziehung der Beamten und die Aufhebung der Pflichtversicherungsgrenze die relative Wachstumsschwäche der GKV-Finanzierungsbasis lediglich etwas abgemildert, aber nicht behoben werden könnte.

Folgende Beispiele zeigen, welche Kosten auf Bund und Länder zukämen, wenn sie statt der Beihilfe künftig Arbeitgeberbeiträge für ihre Beamten an eine Bürgerversicherung abführen müssten:

Bund: Aus einer Antwort auf die schriftliche Anfrage des Bundestagsabgeordneten Hartmut Koschyk (BT-Drs. 15/116, v. 29.11.2002, S. 7-8) ergibt sich, dass der Bundeshaushalt im Falle einer Bürgerversicherung bei einem Durchschnittsbeitrag zur GKV von 14,3 Prozent nach überschlägigen Modellberechnungen mit Kosten von rund 750 Millionen € jährlich belastet würde. Demgegenüber betragen die Beihilfeausgaben für die Bundesbeamten 300 Millionen €. Differenz: 450 Millionen €.

Brandenburg: Berechnungen aus dem Jahr 2001 weisen Kosten in Höhe von 33 Millionen € für Beihilfeaufwendungen aus. Demgegenüber wären im Falle einer Bürgerversicherung Arbeitgeberanteile für die gesetzliche Krankenversicherung in Höhe von 65 Millionen € fällig gewesen. Der Dienstherr hätte mithin nahezu 50 Prozent Mehrausgaben aufbringen müssen.

Beispiel Gesetzliche Rentenversicherung

Eine Systemumstellung würde zu einer immensen Doppelbelastung in der Umstellungsphase führen, für die nach Schätzungen des Rentenexperten Prof. Bert Rürup bis zu 40 Jahre veranschlagt werden müssten. Dies hängt damit zusammen, dass die Altersversorgung der Beamten ebenfalls auf dem steuerfinanzierten Umlageverfahren basiert. Die aktiven Beamten finanzieren durch einen in ihrer Besoldung berücksichtigten Altersversorgungsabschlag die Pensionen der Beamten im Ruhestand. Würden diese Entgeltabschläge nun wegfallen, weil die aktiven Beamten in der GRV zu versichern wären, versiegt die Finanzierungsquelle für die in der Vergangenheit aufgelaufenen Versorgungslasten. Die Ruhestandsbeamten müssten – genauso wie alle anderen Beamten, die noch im Dienst sind – von ihrem Dienstherrn in der GRV nachversichert werden. Gleichzeitig müssten die Dienstbezüge der Beamten um den Altersversorgungsabschlag angehoben werden, um sie in die Lage zu versetzen, den Arbeitnehmeranteil an den Beiträgen zur GRV zu erbringen.

Auch auf Seiten der Rentenversicherten hätte eine Systemumstellung Folgekosten: Die im Zuge der Beitragszahlung erworbenen Rentenanwartschaften sind eigentumsrechtlich geschützt. Das bedeutet, dass bei einer Umstellung auf eine Bürgerversicherung in Form einer Grundsicherung die angesparten Anwartschaften bedient werden müssen und parallel dazu ein neues System, nämlich das der privaten Zusatzversicherung, aufgebaut werden müsste. Für die jetzt aktive Generation würde das enorme Zusatzbelastungen bedeuten. Die Übergangsprobleme wären demnach größer als die potenziellen Vorteile einer solchen Umstellung. Die Finanzierung ließe sich nur auf zwei Wegen realisieren, die beide negative Konsequenzen für die Bürger hätten: Steuererhöhungen und Kürzung anderer Ausgaben oder Kompensationszahlungen aus der GRV oder Übernahme der bestehenden Pensionsansprüche durch die GRV, was massiv steigende Beiträge zur Folge hätte und somit wiederum ein Verlustgeschäft wäre.

Bürgerbefragung öffentlicher Dienst

Seit 2007 legen das Meinungsforschungsinstitut forsa und dbb beamtenbund und tarifunion jährlich eine umfassende demoskopische Erhebung zu Kernthemen des öffentlichen Dienstes vor. Auf Grundlage dieser Untersuchungen zeichnen sich längerfristige Veränderungen im Urteil der Bürger über die staatlichen Leistungen und deren Garanten ab. Gleichzeitig können Entwicklungen im Selbstbild der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf einer soliden Datengrundlage nachgezeichnet werden.

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Bürgerdienste

Zur täglichen Arbeit der Kolleginnen und Kollegen der Bürgerdienste gehören vielfältige Dienstleistungen und Serviceangebote, die je nach Kommune ganz unterschiedlich organisiert sind.

In der Regel kümmern sich die Teams der Bürgerdienste um Reisepässe, Personalausweise, Wohnortanmeldungen, Wohngeld, Kfz-Zulassungen und Ähnliches. Sie sind die zentrale Anlaufstelle für alle Anliegen der Bürger. In manchen Kommunen gibt es seit Neuestem sogar mobile Bürgerdienste, mit ihnen kommt der Service zu den Bürgern. Zunehmend im Trend liegen auch die Online-Bürgerdienste. Immer mehr Bürger nehmen die Dienstleistungen bequem von zu Hause über das Internet in Anspruch.

Weitere Informationen bei den dbb Mitgliedsgewerkschaften:
komba gewerkschaft (komba)
Deutsche Verwaltungs-Gewerkschaft (DVG)

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

„Gib AIDS keine Chance – mach’s mit.“, „Alkohol? Kenn dein Limit.“, „Organspende schenkt Leben“ – jeder kennt die Kampagnenslogans der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln.

Gesundheitsvorsorge und Gesundheitserhaltung liegen im Interesse staatlicher Gesundheitspolitik. Vor diesem Hintergrund wird gesundheitliche Aufklärung als übergreifende Daueraufgabe von allen staatlichen Ebenen durchgeführt. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erarbeitet Grundsätze und Richtlinien für die praktische Gesundheitserziehung, bildet deren Personal aus und fort und koordiniert die gesundheitliche Aufklärung und Gesundheitserziehung in ganz Deutschland. Sie ist zudem erste Anlaufstelle für alle Bürgerinnen und Bürger, die Informationen und Rat in verschiedensten gesundheitlichen Fragen suchen.

Weitere Informationen bei den dbb Mitgliedsgewerkschaften:
Verband der obersten und oberen Bundesbehörden (VBOB)
Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD)

Zur Internetseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:
www.bzga.de